 |
|
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 | Lesung im Auggener Winzerkeller 2010 |
|
|
|
|
Das Geheimnis der Winzerfamilie
|
Immer wenn Franz in die Stadt kam, drehten die Leute sich ihre Hälse nach ihm um. Jahraus, jahrein hatte er immer die besten Weine im ganzen Umkreis.
„Ein komischer Kauz“, meinte der Eine.
„Wie er das wohl macht, mit dem kann doch etwas nicht stimmen“, schimpfte ein Anderer missgünstig.
Aber Franz tat so, als bemerkte er nichts. Was kümmern ihn diese Menschen. Er war stets froh, wieder zu Hause zu sein.
So stieg er auf seinen Traktor, verstaute seine Einkäufe in den Innenraum und tuckerte langsam aus der belebten Innenstadt hinaus. Wie genoss er die Sonnestrahlen, die auf seine dicke Jacke schienen. Es war Januar, die Schneekristalle auf den Bäumen funkelten und glitzerten in gleißendem Licht.
Sein Häuschen lag abseits der Stadt, mitten in den Weinbergen. Seit Generationen hatte schon immer der erste Stammhalter das Haus geerbt und die Reben bearbeitet. So war es Brauch und so war es auch bei Franz und seiner Familie. Darum waren die Trauben und das Weingut ihr Lebensinhalt und Stolz. Ihre großen Herzen und ihre ganzen Seelen hingen daran.
Schon früh morgens – gleich nach dem Frühstück - stapfte er mit seiner Frau zu ihren vertrauten Reben. Jetzt, wo die Wintersonne schon recht hoch am Himmel stand und sehr kräftig schien, nahmen sie ihre Rebscheren hervor und beschnitten mit prüfendem Kennerblick ihre Lieblinge. Wobei die Arbeit ihnen spielend leicht von der Hand zu gehen schien, denn ein alter Rebgeist, der schon viele Jahrhunderte in den Reben wohnt, war seit Generationen das Geheimnis der Winzerfamilie.
Gar manches Mal waren Spaziergänger verwundert stehen geblieben, als sie sahen, wie dieser gestandene Mann und seine hübsche Frau sich mit den Rebhölzern unterhielten.
Es war eine derart starke Bindung zwischen der kraftvollen Natur und diesen Menschen, dass man den Geist darin spüren und sehen konnte.
Wie genoss Franz den Anblick der Reben im Frühjahr, wenn sich an den knorrigen noch etwas störrischen Ästen kleine Blättchen wissbegierig herauszudrücken versuchten. „Hallo lachte er ihnen zu. Ich freue mich, dass ich euch endlich gesund und wohlbehalten wiedersehe. „Der alte Geist hat sehr gut auf euch aufgepasst, wie ich sehe. Ein kindliches Kichern und Wispern durchflutete die Rebreihen.
Das zarte Grün der Blättchen entfaltete anmutig seine Pracht und reckte sich freudig und dankbar der strahlenden Sonne entgegen.
„Es war ein langer Winter ohne euch, doch jetzt wachst meine Lieben“: sprach Franz liebevoll zu ihnen. Jedes Wort hatten sie verstanden und gerne befolgten sie seine Bitte. Die Traubendolden waren schon zu sehen und für Hans und seine Frau konnten gar nicht genug an den Zweigen hängen.
Dieser Ort und die Hände des Winzers waren gesegnet.
Tagtäglich bearbeiteten sie gemeinsam die Reben. Jeden einzelnen Rebstock bedachten sie immer wieder mit Erfurcht und Liebe. Sie dankten Gott täglich für den erfrischenden Regen und den Sonnenschein.
Als dann im Juni die Blätter überhand nahmen, lichteten sie den Blätterwald aus, um Traube, Himmel und Sonne zu vereinen. Auch die Erde wurde von Zeit zu Zeit gelockert um Luft an die Stämme zu lassen.
Der gute Geist sorgte dafür, dass die Reben immer gesund blieben denn er duldete keine Chemikalie auf seinem Boden. Und jeder der den goldenen Rebsaft später genoss dankte es ihm.
Selbst die Tiere fühlten sich hier beschützt und wohl. Oft kam ein Fuchs vorbei, scheue Rehe getrauten sich sogar auf die Lichtung heraus, Hasen sprinteten übermütig durch die Rebreihen und spielten mit der Sonne und dem Wind verstecken. Selbst farbige Rebhühner, fleißige Bienchen und viele Vögel machten rast an diesen herrlichen Plätzen.
Doch im Herbst - da ging es zur Sache. Die Abkömmlinge des Rebgeistes konnten es kaum erwarten, geschnitten zu werden. Zum Platzen prall und dick gefüllt mit herrlich süßem Saft ließen sie sich in des Winzers Hände fallen.
Schon im Bottich konnte man sehen, wie die kostbare Flüssigkeit aus den Trauben quoll. Selbst im Keller hörte das Kichern nicht auf. So dicht aufeinander gedrängt waren sie ja noch nie. Ihr Freund, der Winzer, stand dann mit seinen nackten Füßen in die Bottiche und kitzelte sie alle so durch, dass der ganze Saft aus der Pelle schoss und nach dem Keltern nur noch die leeren Hüllen und Stiele übrig blieben.
In den dunklen Kellergewölben ging es lustig zu, die Weingeister sangen Lieder aus ihrem Leben - von Ihrem übermütigen Heranwachsen in der Jugend, bis hin zum Höhepunkt ihres Lebens, an dem sie sich genüsslich in die Kehlen der Menschen ergossen.
So konnte Franz alte reife Stimmen in den einen Fässern und die jungen spritzigen aus den neu gefilterten Trauben in den anderen Fässern hören.
Ein glückliches Lächeln lag auf seinen Lippen als er auf seiner Bank vor dem Haus sein Feierabendpfeifchen rauchte.
Eine helle vertraute Frauenstimme sprach ihn liebevoll an und meinte: „Na, mein lieber Mann, sind alle deine Schützlinge nun glücklich versorgt?“
Wortlos stand er auf, schlurfte in den Keller, kam mit einem Krügchen neuen Wein und zwei Gläsern zurück, schenkte ein und prostete seiner Frau zu.
„Danke, für dein Verständnis“, sagte er leise und schaute ihr tief in die Augen. „Ist schon recht,“ lächelte sie.“ Ohne unseren treuen Freund den Rebgeist hätten wir nie gelernt sorgsam mit den begnadeten Früchten umzugehen. Wir wissen ja beide, dass er auch ungemütlich sein kann, wenn andere Bauern gegen die Regeln verstoßen. Schon oft gab es saure verdorbene Weine.
Sie schauten in ihre Gläser und meinten ein verschmitztes Lächeln darin zu sehen und eine tiefe Stimme die zu ihnen sprach; “Danke meine Freunde, dann bis zum nächsten Jahr“.
|
Die Weingeister von Auggen
|
In einem kleinen bezaubernden von Rebhainen umgebenen Örtchen, Namens Auggen, im sonnenverwöhnten Markgräflerland, da zeigte sich anno 2010 in einer Wein- und Sektkellerei die Magie des Weines in einer ganz charmanten Geistergestalt. Besonders zur Weihnachtszeit spürt man den Zauber einer überaus entzückenden Weingeistlady.
In diesem besagten Kellergebäude, in dem Millionen Liter der vergorenen Traubenflüssigkeit in vielen verschiedenen Fässern ruhte, tummelten sich mit Vergnügen tausende kleine Trauben, welche aus ihrer prallgefüllten Hülle platzten, und es nicht erwarten konnten, verstampft zu werden, um dann wieder vereint in einen dieser großen Bottiche zu platschen. Lautstark erzählten sie ihre Geschichten, die sie in den Rebbergen erlebt hatten. Dieses Gewisper und Gekicher war für die älteren Weingeister kaum mehr zu ertragen. Energisch boten sie Einhalt, um nicht zu sehr in ihrer gesetzten Ruhe gestört zu werden. Wenngleich sie doch auch gerne mit einem Schmunzeln an die Zeit zurück dachten, in der sie so frisch gegoren, hier, im mit feinen Weintröpfchen geschwängerten Keller, mit den anderen jungen Artgenossen umher schwammen. Diese traute Einigkeit, das wohlige Gefühl des Zusammenseins, des Aneinanderschmiegens, war für sie ein wahrer Hochgenuss und so konnten die Weine reifen und ihre wahren Schätze sich entfalten.
Noch jemand fühlte sich von den kichernden und wohlig seufzenden Geräuschen angelockt. Es war die schöne immer verliebte unsichtbare Hausgeistlady „ Isolde“. Sie war berühmt berüchtigt für ihren ausgeprägten Geruchssinn und ihren treffenden Bukettbezeichnungen.
Isolde kam angeschwebt und hörte plötzlich stampfende Schritte im Keller. Dong, Dong, Dong, Der erste Kellermeister, Andreas, kam die Treppen herunter, um die neuen Weine zu überprüfen. Seine braunen Locken wirbelten wild umher und Isolde konnte ihr Antlitz nicht von ihm lassen.
Was denkt ihr? Fragte sie die Geister in den Fässern. „Gleicht er nicht einem schönen gereiften halbtrockenen Spätburgunder Rotwein, der so leuchtend funkelt wie seine Augen? Wenn ich an ihm schnuppere, dann rieche ich sämtliche Weihnachtsdüfte, frische Mandeln, würzige Nelken und Kardamom?“ „Mmmmmm…,“ Isolde leckte sich die Lippen: „In ihm schlummern außerdem noch viele prächtige Blumendüfte, ich spüre, dass die Wiesen aufblühen, wenn er es nur zulässt.“ Übermütig streifte sie mit ihrem bauschigen Gewand in Andreas e Lockenpracht, das er sich wirr aus dem Gesicht strich, denn er glaubte, in ein Spinnennetz geraten zu sein.
Die älteren Weingeister kicherten vor sich hin, auch die frisch gekelterten Kleinen fanden das lustig. Isolde hatte eine Schwäche für die arbeitende männliche Schar, kaum sah sie den Einen war sie auch schon in den Anderen verliebt.
Weitere Schritte wurden laut auf dem feuchten Kellerboden.
„Ach Horst“ sprach Andreas: „Gut dass du da bist“.
Horst, der zweite Kellermeister, war für die heiße Isolde eine Seele zum Knuddeln, jung spritzig, ihn musste man einfach lieben. „Mein junger Burgunder“ schwärmte sie von Horst: „Er hat eine so wunderbar harmonische Balance. Wenn ich ihn küsse, dann erinnert er mich an die Früchte des Waldes und an gedörrte Birnen. Weich und markant zugleich. Mit einem Rückrad deutlicher, aber nicht zu aufdringlicher Säurestruktur. Eine Priese Pfeffer würde seine Note markant aufpeppen, findet ihr nicht auch, fragte sie in die erste Fässerreihe, doch von da kamen auch nur unsichere und verhaltene blubbernde Laute. „Na ja, Isolde hat da ihre ganz eigene Meinung, glucksten die alten Weingeister, und die sollten wir ihr auch lassen.“ Nun schwebte die „Schöne“ aus den Kellerräumen, vorbei an weihnachtlich festlich dekorierte Räume, in denen die wundervollen Weine und Sekte geordnet in den Regalen zum Verkauf standen, hoch zur Chefetage. Sie drang durch die Büromauer und ihre Augen bekamen einen ganz besonderen Glanz als sie im Zimmer ihren Thomas erblickte. „Ach, wie er wieder aussieht!
Mein maskuliner Rotwein, wie aus dem Ei gepellt. Sportlich, adrett, und asketisch. Eine schlanke Weinrebe auf solch hohem Niveau. Abenteuerlich, mit so viel Sexappeal. Sein Bukett erinnert mich an wilden Wein, würzige Tannennadeln, cooles Haargel, duftige, an der Leine schwingende Wäsche, sowie frische Walderde unter den Schuhen.
Isoldes Blick verharrte auf der charismatischen Person, während Thomas nichts ahnend in seinen Akten kramte. Sie konnte nicht umhin, sich mal kurz auf seinen Schoß zu setzen, um ihn zu streicheln. Da knallte auch schon ein Ordner mit vielen Zetteln auf den Boden. Thomas wunderte sich, über die Hitzewelle, die ihn auf einmal erfasste, Wie konnte er denn ahnen, dass eine Geisterlady ihn, den schmucken Chef, aus der Fassung gebracht hatte.
Weiteren akustischen Männerschritten folgend, durchdrang sie eine andere Wand und landete in den Armen von Enrico, dem trockenen 57er Roséwein. Isolde fuhr sich mit der Zunge über ihren Schmollmund. „Dieser wunderbar herrliche Rosenton, der jedem weiblichen Wesen das Blut in Wallung bringen kann.“ Isolde schnupperte mit ihrem feinen Näschen an dem Körper des Mannes und schwebte ihm aufgeregt hinterher, während Enrico ein anderes Zimmer betrat. „Ich spüre den spanischen Sommerwind, die glutrote Sonne, die im Meer versinkt“. Heißblütig umgarnte sie Enrico. Für einen Moment schien der Selbe innezuhalten und bekam einen verzückten Ausdruck, doch dann drängte seine korrekte Natur wieder zu Tage und stramm streckte er seinen Oberkörper mit einem aufgeregten Räuspern aufrecht zur Decke. Isolde fühlte sich wie im Rausch, denn sein betörender Magnolienduft, seine branchenfremde Art faszinierte sie und der Aktenordnergeruch versetzte sie in himmlische Verzückung. „Ein Mann zum heiraten“, schwärmte sie. „Gerne möchte ich bei dir bleiben, mein Lieber, dein Duft bringt mich um den Verstand, doch ihre Neugier auf weitere männliche Gestalten lies sie neugierig weiter durch die anderen Räume schweben.“
„Ach herrje, die schon wieder?“ Isolde rümpfte die Nase. „Ein Weibsbild in Hosen? Alle nennen sie Rothild, aber so rot ist sie ja gar nicht. Immer wieder wird die von den Männern an ihre Brust gedrückt.“ Eifersüchtig nagt Isolde an ihren unsichtbaren, nicht mehr vorhandenen Fingernägeln. „Nein, diese Rothild, ist kein Bikiniwein, nur ein edler Badeanzug mit Trachtenbordüre. Ein melodischer, exotischer, phantasievoller Spätburgunder Weißherbst in feuriger überpfefferter Version“, spottete Isolde.
„Ihr Duft von wilden Blumen, scharfem Peperoni und ein Hauch von fruchtiger Restsüße lässt bei ihr die Männerherzen höher schlagen. Puh, die kann mir, einem hochkarätigen Jahrtausendwein, doch nie das Wasser reichen!“
Hochmütig schlüpfte sie gerade durch Ruthilds Blusenknopf, welcher auf einmal lustig auf den Boden hüpfte.
Von weiter Ferne hörte Isolde noch Ruthildes lautes Schimpfen.
Mit einer gehässigen Miene lächelte sie und freute sich auf Günter vom Versand, bei dem ihre gute Laune sofort wieder zurück kam.
Bei ihm ist sie immer gerne, denn er ist allezeit hilfsbereit. Sie schmiegte sich an ihn, während Günter sich an den einzelnen schweren Kisten zu schaffen machte. „Er ist mein kraftstrotzender Regent, Wenn er sich so richtig anstrengt, zaubert sein Blut samtig dunkle Rottöne auf sein Gesicht. Schnuppere ich an ihm, dann erinnert er mich an frisches Heu, auf dem Feuer brutzelnde Maroni, sowie den Duft von wilden Gräsern. Ein Kerl zum Anbeißen!“ Auch bei ihm konnte sie es nicht lassen und wirbelte ein paar Mal um ihn hautnah herum, so dass ihm von dem plötzlichen Luftzug irritiert, fast seine Kisten aus den Händen gefallen wären.
Isolde fühlte sich wohl inmitten der Menschen und deren hochwertigen prämierten Weinen und prickelnden Sekten. Keinem männlichen Helfer konnte sie widerstehen und jeder, den sie gerade umgarnte, passierte irgendein unerklärliches kleines Missgeschick, das sie völlig aus der Fassung brachte.
Wenn es ganz still in den Gebäuden wurde, dann genoss Isolde nicht nur an Weihnachtsabenden manch süffiges Tröpfchen des prämierten Auggener Schäf. Genussvoll schlürfte, schlotze, gurgelte sie kennergetreu, wie sie es den Kellermeistern abgeschaut hat, in deren Kehle manch herrliche Tröpfchen geflossen sind.
Die ganze Vielfalt von herrlichen Gerüchen und Aromen versammelten sich dann am Ende des Tages in ihrer Weingeistseele und sie war glücklich.
Besonders in solch magischen Momenten, da wünschte sich Isolde, dass auch die lebenden Seelen sich deren Magie nicht verschließen würden. Dass die Menschen ihre Hektik mindern, das Leben entspannter sehen könnten um sich ihrer inneren Werte bewusst zu werden. Dann könnten all die verschütteten Talente, in den herrlichsten Düften und Sonnenuntergängen zum Vorschein kommen, die ihnen bis dahin nie bewusst waren.
Verträumt sieht heute Isolde auf uns, an diesem verschneiten Adventsabend, die wir uns hier in den festlich geschmückten Räumen zusammen gefunden haben um diese wundervolle Weinprobe zu genießen und lässt uns den Zauber und die Sinnlichkeit des Weines und deren Magie spüren.
Hier in diesem Keller wird Isolde, die zauberhafte, unvergleichliche Hausgeistlady, sich noch viele hundert Jahre am Auggener Schäf erfreuen und sich täglich neu verlieben. Und deren vergorene Köstlichkeiten spiegeln dann immer noch den Charme ihres Geistes wieder.
Gitta Herzog (2010)
|
Lesung im Weingut Straub
|
|
 |
 |
 |
 |
|
 |